Monat: November 2013

Zwei Pettersson-Sinfonien in einem Konzert

Christian Lindberg dirigierte die 16. und die 4. Sinfonie von Allan Pettersson in Norrköping

** Links zu weiteren Rezensionen des Konzertes am Schluss des Artikels (scroll down for links to swedish reviews of the concerts)

Er ist der bedeutendste Sinfoniker des 20. Jahrhunderts in Schweden, und er wird kaum gespielt. Ausgerechnet die kleine Stadt Norrköping will das nun endlich ändern – mit der gemeinsamen Kraft des ansässigen Orchesters und Christian Lindberg, der schon als Kind „Fan“ von Allan Pettersson wurde. Das „Allan Pettersson Project“ wird also bis 2018 seine aktive Heimstatt in „De Geerhallen“ finden. Am 31. Oktober stellte Lindberg die 4. und die 16. Sinfonie im Konzert vor. Zwei Sinfonien in einem Konzert – das ist in der Pettersson-Rezeption bisher ohne Vergleich und stellt an Hörer wie Interpreten besondere Anforderungen. Zudem war es spannend, sich gleichzeitig mit einem Werk aus der ersten sinfonischen Schaffensphase aus den 50er-Jahren und der letzten vollendeten Sinfonie konfrontiert zu sehen. Nach der 16. Sinfonie (1979) blieb die 17. Sinfonie ein Fragment – Pettersson starb 1980.

Lindberg setzte die 16. Sinfonie, die als Auftragswerk für den US-Amerikaner Frederick L. Hemke als „Sinfonie mit Altsaxophon-Solo“ entstand, an den Beginn und die 4. Sinfonie an den Schluss. Beide Sinfonien sind wahrlich keine leichte Kost, so dass die Entscheidung, ein Werk von Lindberg selbst („Kundraan and the arctic light“) in die Mitte des Programms zu setzen, richtig war und sowohl Kontrast als auch Entspannung bot.

Der Konzertsaal in Norrköping war leider nur zur Hälfte gefüllt, das ambitionierte Programm zog aber viele Kenner und Liebhaber von Petterssons Musik von nah und fern an. Solist in der 16. Sinfonie war Jörgen Petterssson vom Stockholmer Saxophonquartett, der schon im Voraus bekannte, jede einzelne Minute dieser Musik zu genießen. „Halbe 80, frenetico“ schreibt Pettersson an den Beginn der Sinfonie – damit ist der Weg vorgezeichnet durch einen kaum einmal zur Ruhe kommenden Musik-Tunnel, durch den sich Pettersson am Saxophon mit dem Orchester windet. Der Solist konnte dem Komponisten eine starke Stimme geben, die auch notwendig ist, da Allan Pettersson hinter dem Altsaxophon mehrfach eine dissonant wogende Wand aufbaut – es ist eine Art Kampfarena des Lebens. Trotzdem bleibt als Eindruck kaum einmal der Schmerz oder die Resignation, es ist eher eine Art stetiges Aufbegehren und eine höllische Energie, mit der diese Sinfonie – in der Kürze fast vergleichbar der 10. Sinfonie, die ähnlich rumorende Wellen beinhaltet – aufwartet. Am Ende gibt es eine kurze Beruhigung, ein erschöpftes Ausatmen der Streicher. Und viel Applaus schon für diese große Leistung von Solist und Orchester.

Doch nach der Pause wartete eine erneute Gipfelbesteigung (Pettersson schrieb – so scheint es – ausschließlich „Achttausender“) auf das Orchester. Mit der 4. Sinfonie geht es in der Biografie zurück in die 50er-Jahre, längst hat sich Pettersson die Sinfonik auf die eigene Fahne geschrieben und entwickelt doch in den ersten vier Sinfonien – das Fragment der 1. Sinfonie eingeschlossen – erst allmählich seine unverkennbare Sprache. Dazu gehören hier auch noch viele Experimente vor allem in der Großform und in der Instrumentation. Die 4. Sinfonie sieht Petterssons größtes Schlagzeugarsenal und auch eine Celesta vor. Zwar ist die 4. Sinfonie vermutlich leichter fasslich als die 16., da sie in viele einzelne Blöcke geteilt ist und sogar Luft für Generalpausen bietet, doch zugleich erscheint das häufige offensichtliche Versiegen des gesamten Materials rätselhaft.

Lindberg und das Norrköping Symfonieorkester boten eine schier unglaubliche Leistung, zumal in kurzer Probenzeit eine sehr gute Qualität herrgestellt wurde – von Werken, die sicherlich keinem der Musiker je schon einmal auf dem Pult lagen. Vom Dirigenten ging nicht nur eine organisierende Klarheit aus, er versuchte gleichzeitig die großen Bögen und präzise Impulse in den Rhythmen zu setzen – das gelang vor allem deshalb auch sehr gut, weil man deutlich merkt, dass das Orchester mit den Kompositionen ihres Landsmannes immer vertraurer werden. Hier könnte sich ein typischer „Norrköping-Sound“ für Allan Pettersson herausbilden – die Aufnahmen werden es zeigen. Für die Weltgeltung des Komponisten wurde – im vierten Jahr in Folge – erneut ein wichtiger Beitrag geleistet.

Reviews in der schwedischen Presse:

* Norrköpings Tidningar: Allan Petterssons andrar hem

* Folkbladet: Musik som fångar livets smärta

* Review von Derek Ho (Blog)

* Review bei ResMusica (France – englisch)

* Review bei ResMusica (France – frz. Jean-Christophe Le Toquin)

* Artikel bei „OPUS“ – En svensk Mahler

 

The Allan Pettersson Project – Zusammenfassung der Pressekonferenz in Norrköping

Am Donnerstag gab es in Norrköping eine Pressekonferenz des Norrköping Symfonie Orkester mit Christian Lindberg und Karin Veres (CEO NSO) zum sogenannten „Allan-Pettersson-Project“, womit das Vorhaben der CD-Gesamtaufnahme mit Orchester und Dirigent in eine neue Phase startete. Norrköping entwickelt sich zum Zentrum der schwedischen Pettersson-Pflege und angesichts der in diesem Jahr bereits anwesenden Gäste und der intensiven Nutzung von Internet und Social Media dürfte das Projekt internationale Strahlkraft besitzen. Und das ist gut und richtig so, denn Allan Petterssons Musik kann nur von Aufführungen leben und natürlich auch vom Diskurs darüber. Zu schnell wurde er in den vergangenen Jahrzehnten von Orchestern, Dirigenten und Musikfreunden beiseite gelegt: zu schwer, zu anstrengend, zu traurig. Man mag das nicht widerlegen, aber die Beschäftigung mit Allan Pettersson lohnt sich – das zeigt sich schon, wenn man in die durchaus glücklichen Gesichter – auch der Orchestermusiker – in Norrköping blickt.

Was passiert also in den kommenden Jahren? Nicht weniger als die Fertigstellung der Gesamtaufnahme aller Sinfonien bei BIS records mit jährlichen Konzerten (Herbst) in Norrköping und anschließender Aufnahme (Januar Folgejahr). Die Gesamtaufnahme wurde bereits in den 90ern begonnen, die bereits vorgelegten Aufnahmen der Sinfonien 3&15, 8&10, 11 (alle Segerstam) sowie die 5. Sinfonie mit dem Malmö Symphony Orchestra werden in die Gesamtaufnahme integriert. Die Sinfonien Nr. 1, 2, 6 und 9 wurden seit 2011 durch Christian Lindberg eingespielt, 4&16 wurde am Donnerstagabend im Konzert gespielt und wird Januar 2015 aufgenommen. Der komplette Aufnahmeplan (pdf) sieht als nächstes Vorhaben die 13. Sinfonie vor.

Am Ende des Projektes soll im Jahr 2018 eine Tournee mit Christian Lindberg stehen, dann mit der 7. Sinfonie, die das einzige Werk ist, das noch einmal eingespielt wird, nachdem Segerstam bereits 1992 eine Aufnahme vorlegte. Zudem sollen Filmaufnahmen das Projekt ergänzen, neben dem „Make of“ der 1. Sinfonie, gibt es zur 9. Sinfonie den Film „Människans röst“ von Peter Berggren in einer restaurierten Version. Dieser Film wurde in Norrköping auch der Presse vorgeführt. Weitere Projekte sollen die Filme „Vem fan är Allan Pettersson“ und „Sangen om Livet“ sein.

Hier spricht Christian Lindberg über das Allan-Pettersson-Project:

Lindberg zeigte sich froh und dankbar über das Engagement des Orchesters, in das außergewöhnliche Projekt einzuwilligen. Karin Veres konnte ihre Freude mitteilen, dass von der doch nicht gerade großen Stadt Norrköping nun ein Zeichen in der Musikwelt ausgehen wird und die Musik Allan Petterssons so endlich ihre Verbreitung findet, die sie verdient. Angesichts des hohen technischen Anspruchs von Petterssons Partituren zeigte sich auch Robert von Bahr (Leiter BIS) erfreut, dass das Orchester diese Mammutaufgabe auf sich nimmt – „Pettersson muss in der Welt Gehör finden“.

Ein Video der Pressekonferenz gibt es beim SON-Channel.

Artikel im „Folkbladet“ über das Projekt: SON storsatsar på att lyfta symfonikern Allan Pettersson

Artikel bei kultursidan.nu

Die CD der 9. Sinfonie samt zugehöriger Bonus-DVD wurde als Presse-Pre-Release vorgestellt, der offizielle Verkaufsstart ist am 1. Dezember 2013.

grafik cd cover

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